
Zukunft – das klingt nach Zukunftsforschung, Excel-Tabellen und großen Masterplänen. Aber: Wer von uns lebt wirklich so? Zukunft ist nicht nur die PowerPoint im Konferenzraum, sondern auch der Kaffee, den wir morgens kochen, die Worte, die wir wählen, die kleinen Gesten, die wir setzen. Sie ist keine schnurgerade Autobahn, sondern eher eine wilde oder leere Kreuzung, an der man immer wieder strauchelt, überlegt, flucht und dann doch irgendeinen Weg einschlägt. Und genau das macht sie spannend.
Vielleicht ist Zukunft weniger das, was Politiker:innen versprechen oder was in Hochglanzbroschüren steht, sondern das, was wir in jedem Moment üben, verwerfen, neu beginnen. Mal stolpernd, mal lachend, mal trotzig, mal voller Hoffnung. Und ja, manchmal ist sie unbequem, manchmal fast zum Davonlaufen – aber genau darin liegt ihre Würze.
In diesem Text öffnen zwölf Denker:innen und Weisheitstraditionen kleine Lichtungen für uns. Keine Patentrezepte, kein Masterplan, sondern Stimmen, die uns herausfordern: Zu zweifeln, zu hoffen, neu zu atmen. Zukunft ist kein Ziel, das irgendwann auf uns wartet, sondern ein Proberaum, in dem wir jetzt schon mittendrin stehen und tanzen. Fangen wir auch hier an mit:
Latours Netz der Verbindungen – Zukunft als Gewebe
Wir sind nie modern gewesen.
Bruno Latour erinnert uns daran, dass wir Zukunft nicht isoliert denken können. Alles, was wir tun, ist eingebunden in ein Netz von Beziehungen. Menschen, Tiere, Pflanzen, Technologien – sie alle reagieren aufeinander, sie alle verändern sich miteinander. Zukunft ist deshalb nicht das Produkt eines einzelnen Planers, sondern das Resultat unzähliger Verflechtungen. Jede Geste ist ein Knoten im Netz, jeder Schritt zieht Fäden nach sich. Auch kleine Handlungen – ein Wort, ein Handgriff, ein Kauf – setzen Bewegungen frei. Zukunft ist kein Großprojekt, sondern die Summe dieser Vibrationen. Wer dieses Netz sieht, spürt Verantwortung: Wir sind nie allein Verursacher, aber auch nie unbeteiligt. Zukunft ist ein Gewebe, das uns trägt – und das wir ständig neu knüpfen. Sie ist lebendig, verletzlich und zugleich erstaunlich stark, weil sie von vielen Händen gewebt wird.
Sloterdijks Zukunft als Übung
Du mußt dein Leben ändern
Peter Sloterdijk sieht Zukunft nicht als punktuelles Ereignis, sondern als etwas, das eingeübt werden will. Er spricht von Anthropotechniken, Praktiken der Selbstgestaltung, die uns prägen wie das tägliche Atmen. Rituale, Gewohnheiten, Körperarbeit, Sprache – all das sind Übungen, die unser Leben formen. Zukunft ist für ihn nicht das einmalige Wagnis, sondern die langsame Transformation im Rhythmus des Alltags. Wer übt, verändert sich – und mit der Veränderung wächst Zukunft. Es geht dabei nicht um Perfektion, sondern um das Aushalten von Wiederholung. Zukunft entsteht nicht nur durch Visionen, sondern durch Disziplin. Sie ist wie ein Fitnessstudio für Geist und Seele, eine Bühne, auf der man sich immer wieder neu einspielt. Sloterdijk lädt uns ein, Zukunft nicht als Versprechen, sondern als tägliche Praxis zu verstehen. Und vielleicht ist genau das die Provokation: Zukunft passiert nicht morgen, sondern jetzt – beim nächsten Atemzug.
Haraways Symbiosen – Zukunft als Werden
Bleiben wir unruhig, halten wir die Fäden, knüpfen wir neue Verwandschaften
Donnah Haraway stellt Zukunft radikal relational vor. Sie weist darauf hin, dass wir nicht allein die Welt gestalten, sondern immer schon verwoben sind. Zukunft ist für sie kein Projekt des Menschen, sondern ein Geflecht von Symbiosen. Sie spricht vom „Chthuluzän“ – einer Epoche, in der Verwandtschaft über die Artengrenzen hinausgeht. Pflanzen, Tiere, Mikroben, Maschinen – sie alle sind Teil dieses Mit-Werdens. Zukunft ist ein Tanz, der viele Partner kennt, manche sichtbar, andere unsichtbar. Haraway ermutigt, neue Geschichten zu erzählen: Geschichten, die nicht von Herrschaft, sondern von Kooperation sprechen. So wird Zukunft nicht nur entworfen, sondern erzählt und gelebt. Sie fordert uns auf, nicht Zuschauer, sondern Erzähler:innen dieses Mit-Werdens zu sein. Zukunft ist Gemeinschaft – radikal, verletzlich, geteilt. Und manchmal, ja, auch chaotisch, aber genau darin liegt ihre Schönheit.
