Bewahrt die Vielfalt. Bei Menschen, Tieren, Pflanzen, Pilzen. Monokulturen sind keine Lösung!
Bäume gelten als Sinnbild der Hoffnung. Ihre Kronen fangen Licht, ihre Wurzeln halten die Erde, ihre Blätter atmen für uns alle. Doch hinter dem romantischen Bild eines grünen Planeten verbirgt sich eine bittere Wahrheit: Der Wald ist längst zu einem Schauplatz wirtschaftlicher und politischer Interessen geworden. Während Politiker, Unternehmen und NGOs die Pflanzung von Bäumen als Wundermittel gegen den Klimawandel feiern, sterben die natürlichen Wälder weiter – unbemerkt, leise, unwiederbringlich. Die Frage, ob Bäume den Planeten retten können, wird so zu einer, die weit über Ökologie hinausreicht: Sie berührt Ethik, Macht und unsere Vorstellung von Natur.

Die Verheißung der grünen Wunderwaffe
In den letzten Jahren hat sich ein seltsamer Konsens gebildet: Bäume sollen die Lösung sein. Sie wachsen leise, speichern CO₂ und vermitteln das Gefühl, dass noch Hoffnung besteht. Regierungen werben mit groß angelegten Pflanzkampagnen, NGOs sammeln Spenden für Aufforstungsprojekte, Konzerne pflanzen symbolisch Wälder, um ihre Emissionen zu kompensieren. Diese neue Ökonomie des Pflanzens verwandelt den Wald in eine Währung der Schuld und der Entlastung. Wer pflanzt, kauft sich frei.
Doch diese Logik ist trügerisch. Denn das Pflanzen neuer Bäume bedeutet nicht automatisch das Wiederherstellen alter Wälder. Es bedeutet oft das Gegenteil: das Anlegen von Monokulturen, das Ersetzen komplexer Ökosysteme durch industriell verwaltete Holzplantagen, die dem Klima- und Artenschutz wenig nützen.
Der französische Baumtraum
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte 2022 auf der COP27, man werde „eine Milliarde Bäume pflanzen“. Das Versprechen klang groß, fast heroisch. Doch bei genauerem Hinsehen zeigte sich: Geplant waren vor allem Monokulturen – also Wälder aus nur wenigen, schnell wachsenden Baumarten, die gegen Trockenheit resistent und ökonomisch verwertbar sind. Der natürliche Wald, ein vielschichtiges Geflecht aus Pilzen, Insekten, Pflanzen und Mikroorganismen, lässt sich so nicht ersetzen.
Forstwissenschaftlerinnen warnen: Diese „grünen Fabriken“ mögen kurzfristig CO₂ binden, aber sie sind anfällig für Schädlinge, Brände und Hitze. Sobald ein solcher Plantagenwald stirbt, entweicht das gespeicherte CO₂ wieder in die Atmosphäre – und das Versprechen, den Planeten zu retten, verpufft.
Die Illusion der globalen Kampagnen
Ein Paradebeispiel dieser neuen Baumpolitik ist die „Trillion Tree Campaign“, initiiert von der deutschen NGO Plant-for-the-Planet. Ihr Ziel: Eine Billion Bäume pflanzen, um das Weltklima zu stabilisieren. Unterstützt wurde die Initiative von internationalen Organisationen, Prominenten und Konzernen. Doch die wissenschaftliche Gemeinschaft reagierte skeptisch. Forschende wiesen darauf hin, dass die zugrunde liegenden Berechnungen der CO₂-Bindung viel zu optimistisch waren und die globalen ökologischen Unterschiede ignorierten.
In Brasilien etwa zerstören großflächige Eukalyptusplantagen nicht nur den natürlichen Regenwald, sie verschärfen auch soziale Konflikte. In Portugal und Spanien verdrängen Pinienwälder alte Landschaften, die über Jahrhunderte im Gleichgewicht mit den Menschen standen. Im Kongo gefährden Aufforstungsprojekte traditionelle Lebensräume, weil sie Landrechte neu ordnen und den Zugang zu Wasser, Nahrung und Holz einschränken.
Wenn der Baum zur Ware wird
Das Versprechen vom „grünen Gold“ verführt. Bäume werden als CO₂-Speicher gehandelt, ihre Pflanzung als moralischer Ausgleich verkauft. Für Unternehmen bedeutet das: Sie können weiterhin fossile Energie verbrennen, solange sie irgendwo auf der Welt Wälder finanzieren. Diese Logik folgt dem Muster der alten Wirtschaft – nur dass sie nun ein grünes Gewand trägt.
Doch Natur funktioniert nicht wie ein Konto, auf dem man Emissionen und Pflanzungen gegeneinander aufrechnen kann. Das ökologische Gleichgewicht hängt von komplexen Kreisläufen ab, nicht von linearen Berechnungen. Wer heute eine Monokultur pflanzt, zerstört oft jahrtausendealte Böden, entzieht dem Grundwasser seine Speicherfähigkeit und ersetzt lebendige Vielfalt durch eintönige Flächen.
Die Wissenschaft mahnt zur Demut
Forschende in Frankreich, Brasilien, Portugal, Spanien und im Kongo zeigen ein differenzierteres Bild: Aufforstung kann sinnvoll sein – aber nur, wenn sie im Einklang mit dem lokalen Ökosystem steht. Ein Wald ist mehr als die Summe seiner Bäume. Er ist ein soziales, biologisches und klimatisches Geflecht, das sich nicht beliebig reproduzieren lässt.
Ein Beispiel: In den französischen Pyrenäen gedeihen Mischwälder, die auf natürliche Weise CO₂ speichern und zugleich Lebensräume für Tiere schaffen. In solchen Ökosystemen kann der Wald dem Klimawandel standhalten, weil Vielfalt Stabilität schafft. Doch dafür braucht es Zeit, Geduld und das Verständnis, dass Natur nicht planbar ist.
Der Preis der guten Absicht
Die Motivation vieler Aufforstungsinitiativen ist ehrlich. Menschen wollen helfen, den Planeten retten, Verantwortung übernehmen. Doch die Mechanismen dahinter sind oft intransparent. Wer kontrolliert, ob die gepflanzten Bäume überleben? Wer überprüft, ob lokale Gemeinschaften profitieren? In vielen Regionen werden indigene Gruppen enteignet, um Flächen für Aufforstung zu schaffen. Sie verlieren Land, Kultur und Autonomie – und das im Namen des Klimaschutzes.
In Afrika werden großflächige Projekte gestartet, bei denen internationale Firmen das Land pachten, um Bäume für CO₂-Zertifikate anzubauen. Das Ergebnis: Der globale Norden kompensiert seine Emissionen auf Kosten des Südens. Statt Gerechtigkeit wächst eine neue Form grüner Kolonialisierung.
Ein falsches Gefühl der Sicherheit
Die wohl gefährlichste Folge dieser Baumbegeisterung ist psychologischer Natur. Sie vermittelt den Eindruck, dass wir weitermachen können wie bisher, solange irgendwo Bäume wachsen. Doch Aufforstung ersetzt keine Emissionsminderung. Jeder gefällte Baum, jede verbrannte Tonne Kohle, jeder Flug hat reale Folgen, die kein Baum kurzfristig ausgleichen kann.
CO₂ bleibt Hunderte Jahre in der Atmosphäre. Ein gepflanzter Setzling braucht Jahrzehnte, um die gleiche Menge zu binden. In dieser Zeit schreitet der Klimawandel weiter voran. Die Vorstellung, dass man durch Spenden, Apps oder Zertifikate die Erderwärmung stoppen kann, ist bequem – aber gefährlich.
Der Wald als Spiegel unserer Zivilisation
Die Geschichte der Wälder ist immer auch die Geschichte der Menschen. In alten Mythen galten sie als Orte der Erkenntnis, des Rückzugs, der Verwandlung. Heute werden sie zu Flächen, die man vermisst oder vermarktet. Der Verlust des Waldes ist mehr als eine ökologische Katastrophe – er ist ein kulturelles Symptom.
Wenn wir Wälder pflanzen, um uns von Schuld zu befreien, dann pflanzen wir keine Zukunft, sondern unsere Angst. Doch wenn wir Wälder wachsen lassen – langsam, vielfältig, respektvoll –, dann können sie wieder zu Lehrmeistern werden. Sie zeigen uns, wie Kooperation funktioniert, wie Vielfalt Stabilität schafft, wie Geduld zu Stärke wird.
Was wirklich helfen könnte
Statt sich auf Bäume als Alibi zu verlassen, müsste die Weltgemeinschaft den Mut haben, an die Wurzeln des Problems zu gehen. Weniger konsumieren. Weniger zerstören. Weniger versprechen. Das bedeutet, fossile Energien konsequent zu ersetzen, Böden zu schützen, Wasser zu regenerieren, Wälder in Ruhe zu lassen.
Aufforstung als Heilmittel funktioniert nur, wenn sie eingebettet ist in eine Politik der Emissionsreduktion. Bäume können helfen, wenn sie Teil eines größeren Ganzen sind – eines Systems, das das Leben schützt, statt es zu verrechnen.
Lokales Wissen respektieren. In vielen Regionen wissen indigene Gemeinschaften seit Jahrhunderten, wie man Wälder pflegt, ohne sie auszubeuten. Ihre Stimmen müssten im Zentrum stehen – nicht am Rand internationaler Konferenzen.
Die Artenvielfalt bewahren. Denn jeder Baum steht in Beziehung zu Pilzen, Vögeln, Insekten, Wasserläufen. Ohne diese Netzwerke bleibt er leblos.
Den Wald als Partner begreifen, nicht als Werkzeug. Wer einen Baum pflanzt, sollte verstehen, dass er eine Geschichte beginnt, nicht eine Schuld tilgt.
Die Verantwortung des Einzelnen
Was kann jede und jeder von uns tun? Sicher nicht den Planeten allein retten. Aber wir können unser Verhältnis zur Natur verändern. Statt Bäume nur als CO₂-Speicher zu betrachten, können wir sie wieder als Wesen sehen, die atmen, wachsen, kommunizieren. Ein Spaziergang im Wald, ein gepflanzter Strauch im Garten, das bewusste Weglassen von Holzprodukten aus Raubbau – all das sind kleine, aber echte Akte der Transformation.
Denn Wandel beginnt nicht in den Pariser Abkommen, sondern im eigenen Bewusstsein. Wenn du den nächsten Baum siehst, sieh nicht nur die Krone, sondern auch die Wurzel. Sie zeigt nach unten – dorthin, wo das Unsichtbare wirkt.
Ein neues Verständnis von Wachstum
Wald ist kein Produkt. Er ist ein Prozess. Ein Raum, in dem Leben und Verfall, Werden und Vergehen in Balance stehen. Vielleicht liegt genau darin die Lektion, die der Mensch lernen muss: dass Wachstum nicht unendlich sein kann, dass Nachhaltigkeit nicht bedeutet, immer mehr zu pflanzen, sondern rechtzeitig aufzuhören.
In dieser Erkenntnis steckt eine neue Form von Hoffnung – keine naive, sondern eine reife, geerdete. Bäume können den Planeten nicht allein retten. Aber sie können uns lehren, wie Rettung überhaupt aussehen könnte: als Beziehung, nicht als Besitz.
Schlussgedanke
Der Dokumentarfilm von François-Xavier Drouet öffnet den Blick für diese Ambivalenzen. Er zeigt, wie das Symbol des Baumes zwischen Ideal und Industrie zerrieben wird, und fordert dazu auf, neu zu denken. Nicht die Zahl der gepflanzten Bäume entscheidet über unsere Zukunft, sondern die Art, wie wir leben – mit ihnen oder gegen sie.
Vielleicht retten Bäume den Planeten nicht. Aber sie können uns retten – vor der Illusion, alles kontrollieren zu können. Und das ist vielleicht der erste wirkliche Schritt in Richtung einer heileren Welt.
