Die Unverkäuflichkeit des Lebens

Was Herrmannstorfer damals als theoretisches Konzept formulierte, wächst heute an vielen Stellen praktisch aus dem Boden. In Berlin experimentiert die Stadtbodenstiftung mit einem Modell, das den Boden aus dem Markt nimmt. Häuser werden dort nicht mehr verkauft, sondern bleiben im Besitz einer Stiftung, die sie gemeinwohlorientiert verwaltet. Wer darin wohnt oder arbeitet, zahlt Nutzung statt Miete – und kann sicher sein, dass die Fläche nicht zur Spekulation wird.

Ähnlich funktioniert das Mietshäuser-Syndikat, ein Netzwerk von über 180 Projekten in Deutschland. Jedes Haus gehört sich selbst – und zugleich dem Netzwerk, das den Weiterverkauf blockiert. Ein juristisches Konstrukt, das aus Herrmannstorfers Gedanke ein Paragraphenwerk gemacht hat: Unverkäuflichkeit als Satzung.

Auch in der Finanzwelt wächst der Druck zur Neuorientierung. Impact-Investoren, Gemeinwohlbanken, Sozialgenossenschaften – sie alle versuchen, Rendite und Verantwortung zu versöhnen. Der Markt, so scheint es, hat gelernt, dass er ohne Vertrauen nicht funktioniert.

Neue Ökonomien des Sinns

Diese Initiativen verbindet ein stilles Prinzip: die Rückbindung des Ökonomischen an das Soziale. Sie widersprechen nicht der Marktwirtschaft, sondern ihrer Reduktion auf Zahlen. Herrmannstorfer hätte das eine „Rehumanisierung der Wirtschaft“ genannt – ein Begriff, der heute an vielen Universitäten als Forschungsthema auftaucht.

Was früher utopisch klang, wird zur Managementfrage: Wie bewerten wir Arbeit, die nicht messbar ist? Wie schützen wir Gemeingüter vor Privatisierung? Wie schaffen wir Eigentumsformen, die Verantwortung teilen, statt sie zu monopolisieren?

Der Weg dorthin führt über neue Modelle:

Genossenschaften, die Gewinne nicht ausschütten, sondern reinvestieren.

Stiftungen, die Eigentum vergesellschaften.

Gemeinwohlbilanzen, die Unternehmen nach sozialer Wirkung bewerten.

Es ist kein Zufall, dass viele Start-ups heute „Purpose“ in ihren Satzungen verankern. Der Begriff ist Mode – aber sein Ursprung liegt genau in Herrmannstorfers Kritik: Wirtschaft braucht Richtung, nicht nur Bewegung.

Die Zukunft – zwischen Besitz und Beziehung

Das, was damals als Kritik an der „Schein-Marktwirtschaft“ begann, ist längst eine Einladung zum Umbau. Die Herausforderung der Zukunft liegt darin, Besitz in Beziehung zu verwandeln. Eigentum bleibt, aber seine Bedeutung verschiebt sich: weg vom exklusiven Anspruch hin zur geteilten Verantwortung.

In der Bodenpolitik etwa entsteht gerade eine neue Logik: Boden als Gemeingut, Eigentum als Treuhand. Kommunen denken über Rückkaufrechte nach, Landkreise gründen Flächenfonds, Bauernverbände diskutieren Hofnachfolgen ohne Verkauf. Ausgerechnet die Praxis bestätigt Herrmannstorfers Theorie.

Und auch die Arbeit wandelt sich. Die digitale Generation fordert Sinn statt Titel, Flexibilität statt Kontrolle, Selbstwirksamkeit statt Hierarchie. Arbeitgeber lernen, dass Motivation keine Ressource ist, sondern Beziehungspflege. In dieser Welt wird Arbeit wieder das, was sie im Ursprung war: Gestaltungskraft.

Beim Kapital schließlich mehren sich Stimmen, die es zurück in den Dienst der Gesellschaft stellen wollen. Fonds koppeln Dividenden an Nachhaltigkeitsziele, Banken arbeiten mit ethischen Anlageprofilen, und neue Modelle wie die „Steward Ownership“ binden Kapital an den Zweck des Unternehmens, statt an den Profit der Eigentümer. Kapital wird wieder Mittel, nicht Ziel.

Die offenen Fragen

Aber wie weit kann man diese Idee treiben, ohne die Dynamik zu verlieren, die Märkte stark macht? Eine Wirtschaft, die nichts verkaufen darf, steht still. Herrmannstorfer hätte das nicht bestritten. Sein Punkt war subtiler: Es geht nicht um den Verzicht auf Märkte, sondern um ihre Begrenzung. Märkte sollen handeln, aber nicht über das Handelbare hinaus.

Das ist der feine Unterschied zwischen Moral und Struktur. Moral appelliert, Struktur verändert Verhalten. Wer Boden unverkäuflich macht, verändert Eigentum. Wer Arbeit als schöpferische Kraft versteht, verändert Organisation. Wer Kapital an Zweck bindet, verändert Macht.

Damit berührt die „Unverkäuflichkeit“ eine der zentralen Zukunftsfragen: Wie gestalten wir Regeln, die das Leben schützen, ohne die Freiheit zu lähmen? Die Antwort könnte in einem neuen Verständnis von Verantwortung liegen – nicht als Zusatz, sondern als Kern ökonomischer Vernunft.

Vom Haben zum Halten

Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft dieses alten, fast vergessenen Buches: dass Besitz nicht das Gegenteil von Gemeinsinn ist, sondern seine Probe. Wer etwas besitzt, muss zeigen, dass er es halten kann, ohne es zu zerstören. Das gilt für Geld, für Boden, für Arbeit – und am Ende für das Vertrauen, das all dies zusammenhält.

Herrmannstorfer schrieb in einer Zeit, als Begriffe wie Nachhaltigkeit noch nicht in Werbekampagnen vorkamen. Doch seine Diagnose wirkt heute erstaunlich frisch. Denn die eigentliche Krise der Gegenwart ist nicht die des Wachstums, sondern die des Maßes. Wir wissen, wie man mehr produziert – aber nicht, wann es genug ist.

Die Zukunft der Wirtschaft wird sich daran entscheiden, ob sie dieses Maß wiederfindet. Ob sie erkennt, dass Freiheit und Verantwortung keine Gegensätze sind, sondern zwei Seiten derselben Münze. Und ob sie versteht, dass der Wert des Lebens nicht im Preis liegt, sondern im Bewusstsein seiner Begrenzung.

Vielleicht wäre das die wahre Revolution: Wenn wir lernen, nicht alles zu verkaufen, was wir haben – sondern manches einfach zu halten, weil es uns hält.