Wie kann eine Demokratie die Integrität von Wissenschaft sichern, wenn die politische Macht selbst zur Gefahr für Erkenntnis wird?

Als Donald J. Trump im Januar 2017 das Amt des US-Präsidenten übernahm, begann ein Angriff auf eine der stillsten, aber fundamentalsten Säulen demokratischer Gesellschaften: die wissenschaftliche Erkenntnis. Mit federleichtem Federstrich, mit Tweets, mit personellen Umbesetzungen, mit Haushaltskürzungen, mit gelöschten Webseiten und der systematischen Veränderung von Begrifflichkeiten (“climate change” wurde zu “weather extremes”) wurde deutlich, wie angreifbar die Wahrheit ist, wenn sie in Daten, Texten und Institutionen ruht.
Trump demonstrierte, wie schnell politische Macht wissenschaftliche Strukturen aushebeln kann. Nicht mit inquisitorischem Brimborium, sondern im Bürokratendeutsch eines neuen Haushaltsplans oder der Umgestaltung einer Website. Das Instrument war nicht die Verbrennung von Büchern, sondern das gezielte Löschen von Informationen auf Servern öffentlicher Einrichtungen. Der Schaden: schwer messbar, tiefgreifend, langfristig.
Macht, Manipulation und die fragile Resilienz des Wissens in Zeiten politischer Willkür
Drei Beispiele zeigen exemplarisch die Strategie:
Erstens: Die Webseite der US-Umweltschutzbehörde EPA wurde über Nacht von wesentlichen Inhalten zum Klimawandel befreit. Forschungsberichte, Handlungsempfehlungen und wissenschaftlich fundierte FAQs wurden gelöscht oder archiviert.
Zweitens: Wissenschaftler:innen des Landwirtschaftsministeriums (USDA) wurden intern angewiesen, Begriffe wie “Klimawandel” und “Reduktion von Treibhausgasen” in offiziellen Dokumenten durch neutralere, politisch “verträglichere” Formulierungen zu ersetzen.
Drittens: Die Finanzierung des “National Climate Assessment”, einem zentralen wissenschaftlichen Bericht der US-Regierung, wurde massiv gekürzt, um dessen Veröffentlichung zu verzögern oder ganz zu verhindern.
Dabei ist der Zugriff auf wissenschaftliche Daten eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und Aufklärung. Wenn Klimamodelle, Gesundheitsstatistiken oder Forschungsberichte unzugänglich gemacht werden, wird auch der demokratische Diskurs kastriert. Was nicht mehr einsehbar ist, kann nicht mehr hinterfragt, verteidigt oder erneuert werden. Der Raum für Lüge und Mythen vergrößert sich proportional zur Stille der Wissenschaft.
Doch der Vorfall ist kein rein amerikanisches Phänomen. Die Verwundbarkeit der Wahrheit betrifft auch Europa. Der schleichende Einfluss wirtschaftlicher oder ideologischer Interessen auf Forschungsförderung, die Entlassung kritischer Wissenschaftler:innen oder das Verschweigen unbequemer Ergebnisse zeigt: Auch hier ist die Autonomie der Wissenschaft kein Naturrecht, sondern eine zu verteidigende Kulturleistung.
Gleichzeitig zeigte die Reaktion auf Trumps Eingriffe auch das kreative Widerstandspotenzial der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Netzwerke wie die “Environmental Data & Governance Initiative” oder “Data Refuge” sammelten systematisch bedrohte Daten und archivierten sie dezentral. Aktivist:innen, Bibliothekar:innen und Programmierer:innenbildeten eine digitale Schutzgemeinschaft für die Wahrheit.
Die Antwort liegt in der Resilienz. Und diese beginnt bei uns allen. In der Forderung nach öffentlichen Datenarchiven, in der Unterstützung unabhängiger Forschung, im Schutz von Whistleblowern, in Bildungsprogrammen, die Wissenschaft nicht nur als Wissen, sondern als Haltung vermitteln: als kritisches, methodisches, sich selbst infrage stellendes Denken.
Denn wie Brecht einmal schrieb: “Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.” Auch die Wahrheit. Auch die Wissenschaft. Gerade jetzt.