Die historische Entwicklung des Pitchens: Von Marktschreiern bis zu modernen Start-up-Pitches
Das Konzept des Pitchens hat sich über die Jahrhunderte hinweg erheblich verändert – von den lauten Rufen der Marktschreier bis hin zu präzisen, datenbasierten Präsentationen vor Investoren. Diese Entwicklung ist ein Spiegel gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen. Während früher Emotionen und Erlebnisse im Vordergrund standen, sind heute Daten, Storytelling und digitale Technologien wesentliche Bestandteile eines erfolgreichen Pitches.
Dieser Artikel zeigt die historischen Wurzeln des Pitchens, die Schlüsseltechniken vergangener Epochen und die modernen Ansätze. So wird deutlich, wie Pitches ihre Form und Funktion in einer sich wandelnden Welt verändert haben.
1. Die Wurzeln des Pitchens: Marktschreier und fahrende Händler (12. bis 18. Jahrhundert)
In der mittelalterlichen Marktkultur begann die erste Phase des Pitchens. Märkte und Jahrmärkte waren die zentralen Orte, an denen Händler ihre Waren anboten. Da es keine Werbemöglichkeiten wie Printmedien oder Radio gab, war die direkte Ansprache das wichtigste Werkzeug.
Merkmale dieser Ära
• Ort: Marktplätze, Straßen und Jahrmärkte
• Ziel: Käufer in Echtzeit überzeugen, ihre Waren sofort zu kaufen
• Techniken: Lautes Rufen, Übertreibung, Live-Demonstrationen und Storytelling
• Werkzeuge: Stimme, Gesten, Körperhaltung und oft auch kleine Tricks (z. B. Zerschneiden von Stoffen)
Marktschreier nutzten emotionale Techniken, die heute als “Attention-Grabber” bekannt sind. Sie riefen ihre Botschaft so laut und markant wie möglich heraus. Die Menschenmassen wurden durch Neugier, Dringlichkeit und emotionale Reize (z. B. Humor) angesprochen.
Techniken, die bis heute erhalten sind
• Live-Demo: Auch heute noch werden Produkte auf Messen live vorgeführt.
• Dramatische Sprache: “Nur heute! Nur jetzt! Günstiger war es nie!” – Diese Art von Dringlichkeit ist ein bewährtes Mittel.
• Storytelling: Händler erzählten Geschichten, um das Publikum emotional zu binden. Dies wird heute in Storytelling-Pitches genutzt.
Beispiel:
Ein Stoffhändler zeigt, wie leicht sich minderwertiger Stoff zerreißen lässt, während sein eigener Stoff “unzerreißbar” ist. Diese Live-Demonstration ist ein klassischer Pitch, der sich direkt an die Bedürfnisse der Käufer richtet.
2. Die Entstehung der Werbeindustrie (19. Jahrhundert)
Mit der Industrialisierung veränderte sich die Art, wie Produkte verkauft wurden. Märkte wurden durch Kaufhäuser ersetzt, und die Menschen begannen, Produkte in Zeitungen zu bewerben. Die Werbeindustrie entstand.
Merkmale dieser Ära
• Ort: Zeitungen, Plakate, Flyer und später Radio
• Ziel: Größere Reichweite, Ansprache breiter Zielgruppen
• Techniken: Visuelle Gestaltung, kurze Werbetexte, klare Botschaften (Slogans)
• Werkzeuge: Printanzeigen, Werbetafeln, Broschüren
Entwicklung der “USP” (Unique Selling Proposition)
Ein zentraler Begriff der Werbeindustrie des 20. Jahrhunderts war die USP (Unique Selling Proposition). Dieser Begriff beschreibt das “Alleinstellungsmerkmal” eines Produkts – die eine Eigenschaft, die es von allen anderen unterscheidet. Diese Idee wird heute in fast jedem Pitch verwendet.
Techniken, die bis heute erhalten sind
• Der Slogan: Ein prägnanter Satz, der sich ins Gedächtnis einbrennt.
• Visuelle Unterstützung: Plakate, die mit klaren Bildern und kurzen Botschaften arbeiten.
• USP: Die Alleinstellung eines Produkts wird in modernen Pitches stark betont.
Beispiel:
Der Slogan “Persil – da weiß man, was man hat” ist ein klassisches Beispiel für eine USP. Die Betonung der Klarheit und Zuverlässigkeit zieht sich auch durch heutige Pitches, besonders im Bereich Start-ups.
3. Die Geburt des Elevator Pitches (1950er Jahre)
Der Begriff “Elevator Pitch” entstand in den USA. Die Idee war, dass man während einer kurzen Aufzugfahrt (30 Sekunden bis 2 Minuten) Zeit hat, eine Geschäftsidee überzeugend zu präsentieren. Das Konzept wurde vor allem in Werbeagenturen und in der Filmindustrie populär.
Merkmale dieser Ära
• Ort: Aufzüge, Büros, Flure, kurze Gespräche mit Entscheidern
• Ziel: Eine Vision in 30 Sekunden vermitteln
• Techniken: Prägnanz, Klarheit, Call-to-Action
• Werkzeuge: Kurze Sätze, visuelle Gedankenstützen
Techniken, die bis heute erhalten sind
• Die 30-Sekunden-Regel: Pitches sind heute oft auf 30 Sekunden oder 1 Minute begrenzt.
• Der Call-to-Action: Am Ende des Pitches muss klar sein, welche Handlung folgen soll.
• Klarheit und Präzision: Komplizierte Erklärungen haben keinen Platz – die Botschaft muss direkt und einfach sein.
Beispiel:
Ein Start-up-Gründer trifft zufällig auf einen Investor im Aufzug. Er hat nur 30 Sekunden Zeit, um sein Projekt zu erklären. Er sagt: “Stell dir vor, du könntest mit einer App deine täglichen Aufgaben in der halben Zeit erledigen – das spart dir eine Stunde pro Tag. Genau das macht unsere App X!”
4. Die Dominanz der Start-up-Kultur (2000er Jahre bis heute)
Mit der Verbreitung von Start-up-Wettbewerben, Acceleratoren und Venture-Capital-Investments wurde der Pitch zu einem Standardwerkzeug für Gründer. Die Präsentation vor Investoren erfordert eine strukturierte Erzählweise, die sowohl rational als auch emotional ist.
Merkmale dieser Ära
• Ort: Start-up-Wettbewerbe, Konferenzen, Pitches vor Investoren
• Ziel: Investitionen sichern, Kunden gewinnen, Kooperationen aufbauen
• Techniken: Pitch-Decks (10-15 Folien), visuelles Storytelling, datenbasierte Argumentation
• Werkzeuge: PowerPoint-Folien, Diagramme, Prototypen
Techniken, die bis heute erhalten sind
• Pitch-Decks: Visuelle Folien mit einer klaren Struktur (Problem, Lösung, USP, Markt, Zahlen).
• Storytelling: Investoren lieben Geschichten – der Held (Kunde) wird durch die Lösung zum Gewinner.
• Daten, Zahlen, Fakten: Investoren fordern heute mehr als nur Worte – Beweise zählen.
Beispiel:
Eine Start-up-Gründerin präsentiert auf einer Bühne. Sie zeigt eine Folie mit der Marktgröße und ein Zitat eines ersten Kunden: “Diese Lösung hat uns 50 % Zeit gespart.” Die Verbindung von Zahlen, Storytelling und visuellem Design macht den Pitch einprägsam.
5. Der moderne Pitch: Digital, online und interaktiv (ab 2020)
Die Pandemie brachte den Pitch ins Digitale. Pitches finden nun per Zoom, Microsoft Teams oder in Form von Video-Pitches statt. Neue Technologien wie Augmented Reality und Virtual Reality verändern das Pitch-Format.
Merkmale dieser Ära
• Ort: Remote-Pitches, Online-Events, Crowdfunding-Videos
• Ziel: Aufmerksamkeit durch Bildschirmpräsenz
• Techniken: Interaktive Fragerunden, Video-Pitches, digitale Whiteboards
• Werkzeuge: Zoom, PowerPoint, digitale Whiteboards
Techniken, die bis heute erhalten sind
• Online-Präsentation: Präzision und Klarheit sind wichtiger als je zuvor.
• Interaktivität: Fragerunden und Abstimmungen halten die Aufmerksamkeit.
• Kürze: Online-Pitches sind oft kürzer (2-5 Minuten).
Beispiel:
Ein Crowdfunding-Video zeigt das Problem und die Lösung innerhalb von 60 Sekunden. Anschließend wird zur Beteiligung aufgerufen (“Werde Teil des Wandels!”).
Fazit
Die Kunst des Pitchens hat sich von lauten Marktschreien zu präzisen Präsentationen vor Investoren entwickelt. Was gleich blieb, ist das Ziel: Aufmerksamkeit erlangen, Neugier wecken und eine Aktion auslösen. Die Werkzeuge haben sich geändert, die Prinzipien nicht.
Von der Straße ins Boardroom-Meeting: Pitches sind Teil der menschlichen Überzeugungskraft. Heutige Pitches sind eine Verbindung aus Emotion, Daten und Klarheit.