Wenn die Welt zurückspricht
Über Resonanz, Entfremdung und warum sich gute Beziehungen nicht planen lassen
Schneller, weiter, mehr. Das Versprechen der Moderne klang einleuchtend: Wer beschleunigt, gewinnt Zeit. Wer mehr Optionen hat, lebt freier. Wer die Welt beherrscht, ist glücklicher. Nur: Warum fühlt sich dann so vieles hohl an?
Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa hat eine Antwort, die auf den ersten Blick einfach klingt: Weil wir die falschen Fragen stellen. Nicht wie viel wir haben, zählt. Sondern wie wir zur Welt in Beziehung stehen.

Das Gegenteil von Entfremdung
Rosa nennt es Resonanz. Kein esoterisches Konzept, sondern ein nüchterner Befund: Gelingende Weltbeziehungen funktionieren anders als instrumentelle. Sie lassen sich nicht auf Effizienz trimmen. Man kann sie nicht abhaken.
Vier Kennzeichen machen Resonanz aus. Erstens: Die Welt spricht uns an, berührt uns, lässt uns nicht kalt. Zweitens: Wir können antworten, erleben Selbstwirksamkeit. Drittens: Beide Seiten verändern sich dabei – wir werden andere, die Welt zeigt sich neu. Und viertens, das ist entscheidend: Resonanz entzieht sich der Planung. Sie ist unverfügbar.
Das klingt paradox in einer Kultur, die Verfügbarkeit zur Maxime erhoben hat. Aber genau darin liegt der Punkt.
Drei Sphären, ein Prinzip
Rosa unterscheidet drei Bereiche, in denen Resonanz auftreten kann – oder eben nicht. Die horizontale Achse: Beziehungen zwischen Menschen. Familie, Freundschaft, Demokratie. Hier zeigt sich, ob wir einander wirklich begegnen oder nur noch nebeneinander funktionieren.
Die diagonale Achse: unser Verhältnis zu Dingen und Tätigkeiten. Arbeit, Lernen, Hobbys. Momente, in denen wir ganz bei der Sache sind – oder nur noch Dienst nach Vorschrift leisten.
Die vertikale Achse schließlich: Beziehungen zu etwas Größerem. Natur, Kunst, Religion, Geschichte. Dimensionen, die uns übersteigen und gerade deshalb berühren können.
In allen drei Feldern steht Resonanz stummen Weltbeziehungen gegenüber. Solchen, in denen nichts zurückkommt. In denen alles Mittel zum Zweck wird.
Die Logik der Steigerung
Warum ist das überhaupt ein Problem? Weil moderne Gesellschaften, so Rosa, auf dynamische Stabilisierung setzen. Sie halten sich nicht durch Bewahrung am Laufen, sondern durch permanente Steigerung: Wachstum, Innovation, Beschleunigung. Was nicht wächst, stirbt.
Diese Logik produziert systematisch Entfremdung. Denn wer immer schneller laufen muss, verliert den Kontakt zur Strecke. Wer ständig optimiert, vergisst, wofür eigentlich. Die Frage nach dem guten Leben wird zur Frage nach besseren Kennzahlen.
Resonanz ist Rosas Gegenvorschlag: ein Maßstab für Lebensqualität jenseits reiner Ressourcenanhäufung. Nicht was wir haben, sondern wie wir leben, entscheidet.

Konsequenzen für die Praxis
Das bleibt keine Theorie. Rosa denkt seine Überlegungen ins Konkrete weiter. Schulen etwa: Wie müssten sie aussehen, wenn nicht Stoffdurchlauf, sondern Resonanzfähigkeit im Zentrum stünde? Nicht jeder muss Goethe lieben. Aber jeder sollte erleben, dass es Bereiche gibt, in denen ihm die Welt antwortet.
Oder Arbeit: Was wäre, wenn Unternehmen nicht nur Output mäßen, sondern fragten, ob Menschen Selbstwirksamkeit erleben? Ob ihr Tun Bedeutung hat?
Oder Natur: Wie sähe ein Verhältnis zur Umwelt aus, das nicht nur auf Verfügbarmachung zielt, sondern auf Begegnung?

Das Problem mit der Planung
Hier wird es heikel. Denn die naheliegende Reaktion – Resonanz zum Ziel erklären, messbar machen, organisieren – läuft ins Leere. Wer Resonanz auf die Agenda setzt, hat sie schon verfehlt.
Institutionen können Resonanz nicht herstellen. Aber sie können Bedingungen schaffen, unter denen sie wahrscheinlicher wird. Genug Ressourcen, genug Zeit. Und vor allem: Offenheit fürs Unplanbare. Raum für Kontingenz.
Das ist unbequem. Es widerspricht der Managementlogik. Es entzieht sich der Optimierung. Genau deshalb trifft es einen Nerv.
Kritik eingeschlossen
Rosas Theorie ist nicht unumstritten. Manche werfen ihm Romantik vor, Versöhnungsdenken statt harter Gesellschaftskritik. Andere bemängeln begriffliche Unschärfe. Wie misst man Resonanz? Wie operationalisiert man Unverfügbarkeit?
Umgekehrt wird gelobt, dass Rosa der Kritischen Theorie einen konstruktiven Horizont gibt. Er sagt nicht nur, was schiefläuft. Er zeigt, wie es anders gehen könnte. Nicht als Anleitung. Als Maßstab.
Drei Bücher
Wer weiterlesen will: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung (2016) ist das Hauptwerk. Unverfügbarkeit (2018) verdichtet die Kernthese. Beschleunigung (2005) liefert die Zeitdiagnose, aus der alles folgt.
Am Ende steht eine simple, unbequeme Frage: Leben wir in Beziehung zur Welt – oder nur noch neben ihr her? Rosas Antwort: Eine Gesellschaft, die das ignoriert, läuft schneller und schneller ins Leere. Resonanz ist kein Luxus. Sie ist eine Überlebensfrage.
